Wenn der Hype vorbei ist

Motivationsplädoyer für die nachhaltige

Beschäftigung mit Antidiskriminierung im

Kulturbetrieb

Diversity Arts Culture (Bahareh Sharifi und Lisa Scheibner)

Das Thema Antirassismus und die Beschäftigung mit postkolonialen und queer#feministischen Perspektiven haben in den letzten Jahren im Kulturbetrieb einen

Aufschwung erlebt. Viele Institutionen organisieren Sensibilisierungsworkshops

für das eigene Team und bieten Veranstaltungen zu verschiedenen

Diskriminierungsformen an.

Der weltweite Impuls der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 hat auch im

deutschsprachigen Raum einen großen Nachhall gefunden, viele

Kulturinstitutionen haben sich solidarisiert. Gleichzeitig hat die Corona-Pandemie

den Kulturbereich nachhaltig erschüttert und die Frage nach der

»Systemrelevanz« der Kunst mit gravierender Wucht auf die tagespolitische

Agenda gesetzt:

Wie wirksam ist die Kunst, die wir machen, fördern, zeigen? Können wir

gesellschaftlich relevante Impulse setzen? Für wen verspricht öffentlich

geförderte Kunst/Kultur die Möglichkeit zu Selbstartikulation und zur

Wiedererkennung der eigenen Lebensrealität in den gezeigten Inhalten? Und wer

profitiert von ihr?

Dieser Text will einige Gedanken dazu formulieren, wie eine nachhaltigere Basis

für das Engagement der Kulturinstitutionen und freischaffenden Künstler_innen

für Antidiskriminierungsthemen erarbeitet werden könnte. Das Ziel ist, langfristig

zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen, die sich den Abbau von

Ausschlüssen und Diskriminierungen als Aufgabe setzt. Die folgenden

Beobachtungen speisen sich aus den Erfahrungen, die wir im Rahmen unserer

Arbeit als Diversity Arts Culture gemacht haben.

Wo stehen wir denn derzeit? Hat sich nicht schon in den letzten Jahren viel

verändert, da häufiger über Rassismus gesprochen wird? Jein

Wir beobachten, dass es offenbar leichter ist, sich mit Rassismus in den USA zu

beschäftigen, als mit aktueller rassistischer Gewalt in Deutschland. Warum haben

die rassistisch motivierten Morde/Terroranschläge von Hanau und Halle oder des

NSU weit weniger Protest und Solidaritätsbekundungen entfacht? Wie viele

Kulturveranstaltungen haben mit dem #Hanau oder #Halle stattgefunden? Und

wer solidarisiert sich mit Schwarzen Künstler_innen oder Künstler_innen of

Color, wenn sie im Kulturbetrieb Diskriminierung erfahren? Solange es keine

Anerkennung unserer hausgemachten strukturellen Rassismen gibt, ändert sich

für Menschen mit Rassismuserfahrungen in Deutschland wenig.

Eine ernsthafte Diskussion über soziale Ungleichheit fehlt im Kulturbereich

ebenfalls weitestgehend. Dabei wäre gerade die Erfahrung mit den Auswirkungen

der Pandemie ein guter Zeitpunkt, sich untereinander zu solidarisieren und

strukturelle Forderungen wie nach einem bedingungslosen Grundeinkommen

und einer grundsätzlichen Verbesserung von sozialen Unterstützungsleistungen

zu stellen.

Stattdessen hat die Pandemie einmal mehr deutlich gemacht, welche ungleichen

gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen und Handlungsmittel wir haben. Die

soziale Schere hat sich noch weiter geöffnet. Homeschooling oder digitales

Arbeiten gestaltet sich einfacher in einer geräumigen Wohnung mit geeignetem

technischen Equipment und guter Internetverbindung, in der mensch sich bei

Bedarf auch zurückziehen kann. Für Personen, die auf kleinstem Raum, in

Pflegeheimen und Geflüchtetenunterkünften leben oder gar wohnungslos sind, ist

die derzeitige Situation ungleich erschwerter, und Hilfsangebote sind nicht immer

zugänglich. Während einige mit home-office-fatigue kämpfen, sehen sich andere

mit Kurzarbeit oder Kündigung oder in manchen Pflege- und

Dienstleistungsberufen mit extremer Überlastung konfrontiert. Die erschwerte

Situation für viele Arbeitnehmer_innen ist zwar im öffentlichen Diskurs häufiger

Thema und wird im Nachgang der Pandemie eventuell auch in Zahlen und

Statistiken dargestellt werden. Ob es jedoch auch für alle angemessene

Unterstützung beim langen Weg aus der Krise geben wird, wenn die

»Soforthilfen« aufgebraucht sind, ist fraglich.

Die prekäre finanzielle Situation von Kultur- und Kunstschaffenden wurde

aufgrund guter Vernetztheit und Lobbyarbeit sehr schnell auf die tagespolitische

Agenda gerückt. Schnelle Maßnahmen wurden ergriffen und

Unterstützungsleistungen bereitgestellt.

Es war zu hören, dass der ALG II-Satz und die daran geknüpften Bedingungen

eine Zumutung für Kulturschaffende seien – grundsätzlich in Frage gestellt wird

ALG II aber nicht. Wer bereits im Sozialsystem war oder in den letzten Jahren

keine stabile Karriere im Kulturbetrieb aufweisen konnte (zum Beispiel aufgrund

von Barrieren beim Zugang zum Kulturbetrieb und bei der Antragstellung),1

konnte von der »Soforthilfe« vermutlich nicht profitieren. Welche

Kunstschaffenden dabei auf der Strecke geblieben sind und ihre künstlerische

Praxis aufgeben mussten, um Grundbedürfnisse abzusichern, wird sich in den

nächsten Jahren erst zeigen. Hier ist zu vermuten, dass Kulturschaffende, die von

Mehrfachdiskriminierung, also etwa von Rassismus oder Ableismus in

Verbindung mit Klassismus betroffen sind, am Härtesten getroffen werden. Die

erschwerten Bedingungen dabei, überhaupt im Kulturbereich Fuß fassen2 und

damit eine nachhaltige Karriere aufbauen zu können in Kombination mit dem

Fehlen von familiärem ökonomischen sowie symbolischen Kapital, das zur

Überbrückung von Krisensituationen dient, werden die Aufrechterhaltung der

künstlerischen Praxis für (mehrfach) marginalisierte Kulturschaffende gravierend

beeinträchtigen.

Welche Aufgabe ergibt sich hieraus für die Kunst? Was sind die Möglichkeiten?

Amelie Deuflhard, die Künstlerische Leiterin von Kampnagel in Hamburg, hat sich

nicht nur Freund_innen damit gemacht, dass sie die vergleichsweise privilegierte

Situation der Theater und auch vieler Solo-Selbstständiger angesprochen hat.3 Sie

schlug vor, Theater könnten die Zeit der Schließung nutzen, um ihren »elitären

Status« zu reflektieren und sich zu fragen, wie man sie demokratisieren, ein

diverseres Publikum aufbauen und sie weiter für die Gesellschaft öffnen könnte.

Aber was ist es denn genau, das im Kulturbetrieb grundsätzlich verändert werden

müsste?

Um sich als Kulturschaffende_r tatsächlich fundiert mit Diskriminierung

auseinanderzusetzen, braucht es den Blick auf gesamtgesellschaftliche

Ungleichheitsverhältnisse und die eigene Position darin. Da wir in einer

Gesellschaft mit hierarchischen und damit ungleichen Strukturen leben, können

wir nicht nicht daran teilnehmen, selbst, wenn wir es uns wünschen: wir

profitieren davon oder machen diskriminierende Erfahrungen, oft auch beides, in

Bezug auf verschiedene Diskriminierungsformen. Nicht alle haben dieselben

Zugänge zu Bildung, zum Kunst- und Kulturangebot, zum Gesundheitssystem,

auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt.

Die Struktur der meisten Kulturinstitutionen ist gewachsen in und durch

gesellschaftliche Ungleichheits- und Machtverhältnisse(n), die sich bis heute

hartnäckig halten. Nur ein Beispiel dafür ist die Machtkonzentration auf eine oder

wenige Personen an der Spitze, die die Institution nach Gutdünken geradezu

feudalistisch leiten können, wie es Thomas Schmidt in seiner Studie Macht und

Struktur im Theater4 beschreibt. Nun soll vielerorts Öffnung her, da immer deutlicher wird, dass das althergebrachte Verständnis von »Hochkultur« nur

noch sehr Wenige anspricht, denn viele Kulturinstitutionen beobachten, dass ihre

Zielgruppen kleiner und älter werden. Je diverser die Alltagsgesellschaft und –

kultur wird (obgleich sie schon immer divers gewesen ist), desto mehr fällt auf,

wie weiß, nicht-be_hindert und männlich dominiert das Geschehen in den großen

Institutionen wie Opern, Theatern oder Museen ist. Auch gibt es immer

deutlichere Hinweise, dass das Programm nicht mehr zeitgemäß ist, wenn etwa

immer breiter öffentliche Kritik an diskriminierenden Bühnenpraktiken wie etwa

dem rassistischen blackfacing5 oder auch dem cripping up6 geübt wird und

stereotype Darstellungen marginalisierter Gruppen regelmäßig skandalisiert

werden. Während sich der Wille zur Veränderung großer Institutionen zunächst

vor allem darauf beschränkte, das Publikum zu verjüngen und zu diversifizieren,

hat sich inzwischen erfreulicherweise die Erkenntnis durchgesetzt, dass dies nur

in Verbindung mit Diversitätsentwicklung in den Bereichen Programm und

Personal7 gelingen kann. Doch die in den vergangenen Jahren angewendete

kulturpolitische Strategie, trichterförmig vereinzelt marginalisierten

Kulturschaffenden Zugang zu gewähren, führt kaum zu nachhaltigen

Veränderungen, denn die Personalstruktur bleibt weitestgehend die gleiche. Auch ist die oft gewählte Formulierung »bei gleicher Eignung bevorzugt«8 in

Stellenausschreibungen ungeeignet, um Menschen mit unterschiedlichen

Perspektiven einzustellen, und so ihren künstlerischen Perspektiven Raum zu

geben. Denn es ist, wie oben bereits ausgeführt, für von Diskriminierung

betroffene Kulturschaffende ungleich schwerer, die gleichen Zugänge zur

Ausbildung und Einstiegsberufen zu erlangen und damit dieselben

Qualifikationen und Arbeitserfahrungen vorzuweisen wie diejenigen, die

mehrfachprivilegiert sind.

Unserer Beobachtung nach wählt eine Auswahlkommission im Zweifel das, was

sie kennt und versteht und was die geringste Reibung verspricht. Eine

Bühnenbildnerin mit Be_Hinderung einstellen, für die eventuell der

Backstagebereich umgebaut werden müsste? Das führt dann doch zu weit. Und

wer bewirbt sich auf eine Volontariatsstelle, die zwar eine Vollzeitbeschäftigung

ist, aber so gering vergütet wird, dass mensch sie sich ohne familiäre

Bezuschussung kaum leisten kann? Letztlich wird nur jenen marginalisierten

Kulturschaffenden Zugang gewährt, die sich gut ins Bestehende einfügen können

und selbst schon über ein beträchtliches symbolisches Kapital verfügen, die

richtige Ausbildung erlangen konnten und das anerkannte Wissen haben, und

damit innerhalb marginalisierter Communities letztlich wieder eine privilegierte

Position einnehmen.

Fehlende Diversität ist ein Hinweis darauf, dass das Arbeitsfeld mit seinen

spezifischen Bedingungen nur für wenige zugänglich ist. Um die Strukturen wirklich zu verändern, müssen insgesamt Hierarchien abgebaut werden und faire,

transparente und gute Arbeitsbedingungen für alle geschaffen werden.

Diversitätsentwicklung ist letztlich zuallererst Organisations- und

Personalentwicklung.

Aber was kann ich als einzelne Person, was können wir als kleine Gruppe denn da

schon tun? Eine ganze Menge. Aus unserer bisherigen Erfahrung in der Arbeit für

Diversity Arts Culture in den letzten Jahren können wir sagen: fast alle

Diversitätsentwicklungsprozesse, die in Kulturinstitutionen wirklich etwas

bewirkt haben, gingen von Impulsen aus dem Ensemble, von Studierenden, von

einzelnen engagierten Mitarbeitenden aus mittleren Leitungspositionen aus. Die

folgenden Tipps richten sich daher auch in erster Linie an Mitarbeiter_innen, die

nur begrenzte Entscheidungsbefugnis haben. Es gilt, die Handlungsspielräume in

der eigenen Arbeit, aber auch im Team, der Abteilung und Institution zu

erforschen.

Das sind die Schritte, mit denen ihr eurem Engagement eine gute Basis baut:

1. Beschäftigt euch mit eigenen Privilegien: Wo profitiere ich selbst davon,

dass die Machtverhältnisse sind, wie sie sind? Hier geht es nicht um

Schuld und Scham (das hilft nämlich nicht weiter), sondern darum, ein

Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Zugänge, Möglichkeiten und

Ressourcen euch zur Verfügung stehen, die ihr solidarisch einsetzen

könnt. Nicht nur Geld hilft weiter. Ressourcen können auch sein: Ich

kenne Menschen mit Einfluss, an die ich jemanden weiterempfehlen kann.

Ich habe Zugriff auf Räume, die auch von Externen genutzt werden

könnten. Ich weiß, wann welche Stellen ausgeschrieben werden. Ich kann

Informationsmaterial für Kolleg_innen recherchieren und mit ihnen ein

Gespräch über Diskriminierung beginnen, ohne dass ich Angst um meinen

Job haben muss.

Besucht Fortbildungen und bildet euch regelmäßig weiter. Mittlerweile

findet ihr auch online gute Materialien9 zu Antidiskriminierung.

2. Was kann und will ich beitragen zu Veränderungen? Wie viel meiner

Arbeitszeit will ich zur Verfügung stellen, was bin ich auch dafür bereit

abzugeben (z.B. Redezeit oder programmatische Entscheidungen)?

Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Kolleg_innen und

Kooperationspartner_innen ist eine transparente Haltung und

Kommunikation wichtig, um deutlich zu machen, welche Entscheidungen

gemeinsam getroffen werden können und welche nicht.

3. Unterstützt marginalisierte Kolleg_innen. Etwa, indem ihr ihnen im

Gespräch im Kolleg_innenkreis oder mit Vorgesetzten das Wort zuspielt

oder ihre Vorschläge aufgreift und unterstützt. Wenn sie von

Diskriminierungserfahrungen berichten, zeigt euch solidarisch und

versucht, gemeinsam gute Strategien zu entwickeln oder bei Bedarf Hilfe

zu organisieren. Oft werden Personen isoliert, wenn sie unangenehme

Themen in der Institution ansprechen und insbesondere, wenn sie sich im

unteren Bereich der Machthierarchie befinden, haben sie allein wenig

Handlungsmöglichkeiten. Mit einem solidarischen Team im Rücken kann

sich das Blatt zu ihren Gunsten wenden, wichtige Diskussionen können

geführt und Veränderungen angestoßen werden.

4. Findet Verbündete im Team oder in der Institution, um gemeinsam

Prozesse in Gang zu setzen. Gründet eine Diversitäts-AG, bildet euch

zusammen fort und überlegt, was ihr umsetzen wollt. Oft fällt die

Diversitätsarbeit zusätzlich zu den eigenen Kernaufgaben an. Ihr solltet

euch daher gut absprechen, wer welche Kapazitäten und (zeitlichen)

Ressourcen einbringen möchte. Nehmt euch die Zeit, um anfallende

Aufgaben und Verantwortlichkeiten gut und gerecht zu verteilen.

Überprüft in regelmäßigen Abständen, ob die Aufgabenverteilung für

jede_n Einzelne_n noch machbar ist. Überlegt euch, wie ihr euch

gegenseitig unterstützen könnt. Beispielsweise kann ein Rotationssystem

für Aufgaben hilfreich sein, um Überlastung Einzelner zu vermeiden und

die Basis für einen langfristigen Prozess zu geben. Das Wissen um

bisherige Pläne und Maßnahmen sollte nicht nur bei einer Person liegen,

denn wenn diese weggeht, muss alles von Neuem aufgebaut werden.

5. Nicht alles wird sofort klappen, aber als Task Force könnt ihr euch

außerhalb der Institution/Gruppe vernetzen und innerhalb ganz genau

hinschauen, wo die Entwicklungsbedarfe sind. Setzt euch dafür ein, dass

betriebsinterne Fortbildungen zu den Themen Sensibilisierung und

Antidiskriminierung stattfinden. Dafür sollten von der Institution auch

finanzielle und zeitliche Ressourcen eingeplant werden.

6. Gut zu wissen: Zu Antidiskriminierung gibt es arbeitsrechtliche Vorgaben

durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Jede Kulturinstitution

muss regelmäßig Schulungen anbieten, eine Vertrauensstelle schaffen, bei

der Einstellung auf etwaige Rechte hinweisen. Welche Möglichkeiten gibt

es für gerechte Gehaltsgefüge? Sind Tariflöhne oder Haustarif denkbar?

Gibt es Unterstützung durch den Betriebsrat oder Gewerkschaften? Um

freie Künstler_innen im Rahmen eines Vertragsverhältnisses gegen

Rassismus zu schützen, haben die Regisseurin Julia Wissert und die

Rechtsanwältin und Dramaturgin Sonja Laaser die Anti-Rassismus#Klausel10 entwickelt. Unabhängig vom Arbeitsplatz gibt es überall

verschiedene Antidiskriminierungsstellen. Kontakte zu lokalen

Beratungsstellen findet ihr auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle

des Bundes.11 Für die Film- und Theaterbranche gibt es außerdem

Themis,12 die Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt.

7. Gibt es in der Institution ein Leitbild? Werden in diesem Zusammenhang

Fragen zu Diversität und Antidiskriminierung abgebildet? Oder ist sie gar

Teil eines Netzwerkes zu Antidiskriminierung (wie z.B. #Unteilbar)? Überprüft gemeinsam mit kritischen Kolleg_innen, inwieweit die

Selbstverpflichtung eingehalten wird. Regt eine diversitätsorientierte

Organisationsentwicklung13 an, um ein gemeinsames Selbstverständnis

zum Thema Antidiskriminierung zu entwickeln. Teil davon sollten auch

verbindliche Leitlinien und Maßnahmen sein, um in Diskriminierungsfällen

die Betroffenen zu schützen und zu unterstützen.

8. Sucht den Austausch mit den Communities,14 die in eurer Institution

unterrepräsentiert sind. Welche Angebote wären für verschiedene

marginalisierte Gruppen sinnvoll? Das muss nicht der Themenabend oder

das Vermittlungsprogramm sein, sondern vielleicht ein Raum um sich

intern zu treffen oder die Unterstützung bei der Antragstellung, um ein

eigenes und selbstbestimmtes Programm auf die Beine zu stellen. Sinnvoll

ist, euch nicht nur an einzelne Personen, sondern an kollektive Strukturen

wie zum Beispiel an lokale Selbstorganisationen zu wenden, um Vertrauen

aufzubauen und Bedarfe abzufragen. Vernetzungsarbeit ist

Vertrauensarbeit und braucht Zeit. Vertrauen wird sich nicht nach dem

ersten Treffen einstellen. Viele in Vereinen oder Initiativen organisierte

marginalisierte Personen machen regelmäßig die Erfahrung, dass ihre

Expertise für ein Projekt hinzugezogen wird, aber letztlich keine

nachhaltige und strukturelle Veränderung in der Institution stattfindet

und ihre Perspektiven dort weiterhin nicht repräsentiert werden. Seid

daher ehrlich in der Kommunikation, zeigt auf, welche

Handlungsspielräume ihr habt und achtet darauf, dass

Beratungsleistungen immer angemessen vergütet werden.

9. Widerstand wird kommen. Von der Institutionsleitung, die Maßnahmen

finanzieren soll, von Kolleg_innen, die sich in ihrer bisherigen Arbeit

angegriffen fühlen: »Das geht zu weit, dafür haben wir kein Geld, wir sind

hier nicht rassistisch, das versteht unser Publikum nicht, das machen wir

später«… you name it. Jetzt ist die gute Vernetzung und die informierte

Basis wichtig. Widerstand bedeutet, dass ihr einen Nerv getroffen habt

und auf der Spur einer tatsächlichen Veränderung seid. Nutzt Beispiele

guter Praxis, holt euch Unterstützung von außen, bleibt geduldig und

hartnäckig. Vergesst aber auch nicht, Grenzen zu setzen und auf euch

gegenseitig zu achten. Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, bereits zu Beginn

darüber nachzudenken, wie ihr mit Widerstand und Machtverhältnissen

umgehen wollt. Diskriminierungskritische Supervision und Mediation

können dabei unterstützen, die Kraft für anstrengende Prozesse aufrecht

zu erhalten.

10. Vernetzt euch auch betriebsübergreifend mit anderen kritischen

Kulturschaffenden: Schafft gemeinsame Austauschräume. Was könnt ihr

voneinander lernen? Wie könnt ihr gemeinsame Forderungen auch

öffentlich stellen, damit kulturpolitische Veränderungen in Gang gesetzt

werden? Gibt es Fachverbände, an die ihr euch wenden könnt und die eure

Forderungen unterstützen können?

11. Was kann die Rolle der Kunstvermittlung sein? Hier ist wieder das

Selbstverständnis von Bedeutung. Welches Wissen, welche Position habe

ich gegenüber denen, die Vermittlungsangebote in Anspruch nehmen? Wer

lernt von wem? Was ist das Ziel des Austausches? Schafft Zugänge zur

Kunstpraxis, die langfristig gedacht sind. Investiert in Kooperationen, die

eine Kontinuität der Arbeit mit verschiedenen Gruppen ermöglichen.

Knüpft an das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmenden an. Schafft

Orte, die auch Raum für Erleben über die Vermittlungsinhalte hinaus

ermöglichen: gemütliche, soziale, solidarische Orte, die leicht zugänglich

sind und in denen sich auch Personen gerne aufhalten, die bisher noch

nicht zum Publikum der Institution gehören.

Mit dieser Basis gelingt es euch, individuell und kollektiv euer Wissen zu

Antidiskriminierung zu erweitern und bestimmte Standards auch in der

Institution bekannt zu machen.15 Ihr könnt euch damit als Gruppe als wichtige

Ansprechpartnerin positionieren, wenn Entscheidungsträger_innen

Diversitätsentwicklungsprozesse erwägen. Gleichzeitig ermöglicht ihr solidarische

Räume, die Kunstschaffenden mit verschiedenen (Diskriminierungs-)Erfahrungen

mehr Sicherheit geben und könnt neue Räume gestalten, die bisher nicht

vorhandene Zugänge eröffnen. Ein plötzliches, allgemeines Interesse für

strukturellen Rassismus oder soziale Ungleichheit ist strategisch eine gute

Gelegenheit, ein paar Anker zu werfen, die auch noch halten, wenn der Hype

vorüber ist und das Tagesgeschäft ruft. Wenn nach der Pandemie die Krise

wartet (Kürzungen im Budget, eventuell weniger Spielräume), dann ist es umso

wichtiger, Antidiskriminierungsmaßnahmen auf der Agenda zu halten, denn

Kürzungen treffen immer diejenigen am Härtesten, die ohnehin eine prekäre

Position haben. Gerechtigkeit im Kulturbetrieb ist kein Spielzeitthema. Sie sollte

ein allgemeines Ziel zur Weiterentwicklung einer ganzen Branche sein.