Bergsteigen im Dienst der Klimaforschung
Expeditionsbericht über die Suche nach geeigneten Andengletschern
Ich liege gerade im Zelt in Lager 3 auf 5130 m am Fuße des Mercedario, einem der höchsten Andengipfel (6770 m, 33°S). Wir haben früh Abend gegessen und morgen geht es um 4:00 los, aber ich kann noch nicht einschlafen. Daher nutze ich die Zeit, um einen kleinen Überblick über den bisherigen Ablauf unserer Expedition zu geben:
Am 6. Jänner 2003 kam unser Wissenschaftlerteam vom Schweizer Paul Scherrer Institut in Santiago de Chile an. Wir waren zu viert: Theo, ein Doktorand aus Bern, Margit, unsere Chefin, Beat, unser Bergführer und ich (ebenfalls Doktorand). Am Flughafen haben wir uns gleich mit dem chilenischen Glaziologen Gino getroffen, der sich um die Radarmessungen auf den Gletschern kümmern sollte.
Unser Ziel war es, einen hoch gelegenen Gletscher zu finden, der in einer Gegend
liegt, die stark vom El Niño Klimaphänomen beeinflusst ist, liegt.
Dieser Gletscher sollte dann angebohrt werden und die Analyse des entnommenen
Eiskerns würde Aufschlüsse über die Veränderung dieses Phänomens
in den letzten Jahrhunderten geben.
Am nächsten Tag ging es dann schon los und wir fuhren nach La Parva (3140 m), das ist ein Skigebiet gleich in der Nähe von Santiago. Von dort aus sind wir Richtung Cerro del Plomo (5440 m) losmarschiert. Dies war der erste Berg, dessen Gletscher untersucht werden sollte.
Nach fünf Stunden Marsch erreichten wir das erste Lager
"Piedra Numerada" (3300 m), den Gepäcktransport nahmen uns
Maultiere ab. Tags darauf ging es gleich zum zweiten Lager "La Olla"(4200
m). Auch da wurden wir von den Maultieren unterstützt, trotzdem spürte
ich den schnellen Anstieg der Schlafenshöhe auf über 4000 m innerhalb
von 2 Tagen deutlich (Kopfweh und Schwäche). Dann stand ein Akklimatisationstag
auf dem Programm, an dem Theo und Beat Material ins Lager 3 brachten (5050
m), während ich noch einmal auf 4000 m abstieg und am Nachmittag ohne
Gepäck bis auf 4650 m hinaufging. |
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Am nächsten Tag marschierten wir alle ins Lager 3, um
Material hochzutragen. Im Wesentlichen ging es dabei um die Bohr- und die
Radarausrüstung. Letztere dient dazu, an verschiedenen Punkten des
Gletschers die Mächtigkeit des Eispanzers zu ermitteln. Auf über
5000 m hatte ich starkes Kopfweh, wir stiegen dann wieder ins Lager 2 ab,
um dort zu schlafen. Die nächste Nacht verbrachten wir dann in Lager 3. Ich hatte die ganze Zeit über gut geschlafen und die Höhe eher unter Tags zu spüren bekommen. |
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Tags darauf war es dann soweit. Wir brachen zum Glaciar Esmeralda (5300
m ) auf und begannen mit der Bohrung. Mir kam vor, als bräuchte ich
für die 250 Höhenmeter eine Ewigkeit, begleitet von starken Kopfschmerzen. Die ersten beiden Bohrkerne (jeweils 70 cm ) sahen wunderbar aus: bester Firn ohne jegliche Eislinsen. Danach war es allerdings mit dem Firn vorbei und wir brachten nur noch Kerne aus Blankeis ans Tageslicht. Das bedeutete, dass es auf diesem Gletscher öfters so warm wird, dass Schnee schmilzt und das entstandene Wasser dann in der Nacht wieder gefriert. Gletscher, auf denen solche Schmelzprozesse stattfinden, sind als Klimaarchive ungeeignet, da das Wasser die im Schnee enthaltene Information "verwischt", indem es im Schnee enthaltene Spurenstoffe mitreißt. Die am Gletscher beobachtete oberflächliche Firnschicht stammte offenbar noch vom letzten Winter, der in dieser Gegend außergewöhnlich schneereich gewesen war. Die neun gebohrten Kerne (insgesamt 5.5 m) nahmen wir trotzdem mit in die Schweiz, brachen ansonsten aber die Bohrung ab. |
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Der Transport solcher Proben ist eine logistische Herausforderung: Das Eis kann nur am Abend oder in der Früh bei Temperaturen unter 0°C transportiert werden, während gleichzeitig vom Tal aus Trockeneis (gefrorenes Kohlendioxid bei -78.5°C) herangeschafft werden muss. Dann werden die Eiskerne in Isolierkisten zusammen mit dem Trockeneis transportiert, denn ein Aufschmelzen muss um jeden Preis verhindert werden. Das alles gelang recht gut und wir erreichten alle wohlbehalten mit dem Eis Santiago de Chile. Damit konnten wir uns gedanklich dem nächsten Ziel zuwenden, einem Gletscher am Cerro Mercedario (6770 m), dem vierthöchsten Berg Amerikas. Bei diesem Berg war ein Helikopter für den Material- und Personentransport ins Basislager vorgesehen. |
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Die nächste Woche verbrachten wir mit einem Ruhetag,
einem Computerproblem, der Anreise nach Argentinien und dem Warten auf den
Hubschrauber, der wegen eines Föhneinbruchs mit Schneefall tagelang
nicht starten konnte. Der Hubschrauber, der eigentlich für Rettungseinsätze
am Aconcagua (Fastsiebentausender und höchster Andengipfel) bestimmt
ist, kam zwar wie vorgesehen bei uns an, konnte aber wegen des Föhnsturms
nicht ins Gebirge. Der Wind blies zeitweise so stark , dass sogar die Rückkehr
zur Hubschrauberbasis zwei Tage lang nicht möglich war. Dann starb ein Mann beim Abstieg vom Aconcagua in ca. 2800 m an einem Lungenödem. Daraufhin tauchte natürlich die Frage auf, wo denn der Hubschrauber geblieben sei, dem ja die Rückkehr zur Basis wegen des schlechten Wetters unmöglich war. Das alles erfuhren wir allerdings erst, als wir die Hubschraubervariante bereits verworfen hatten und mit Maultieren auf dem Mercedario-Normalweg unterwegs waren. |
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Wir stiegen also rasch vom höchsten mit dem Auto erreichbaren
Punkt (2100 m ) zu Lager 1 (3600 m ) auf, tags darauf zu Lager 2 (4370 m
). Das war damals das höchste für Maultiere erreichbare Lager.
Der Weiterweg wurde von einem steilen Schneefeld versperrt, das wir zwar
überwinden konnten, nicht aber die Tiere. Wir hatten Glück und konnten unterwegs vier Argentinier anheuern, die uns halfen, die Bohr- und die Radarausrüstung ins Lager 3 zu tragen, das wir am nächsten Tag in einer Höhe von 5130 m aufbauten. Das nächste Tagesziel war der Transport der Bohrausrüstung auf 5800 m, während Gino mit zwei Kollegen noch am gleichen Tag sich daran machte, den Gletscher mittels Radar zu vermessen. Er musste nämlich am folgenden Tag, den wir zur Erholung vorgesehen hatten, schon abreisen. Den raschen Höhenanstieg hatten wir diesmal alle gut vertragen, wobei ich allerdings prophylaktisch "Diamox", ein Höhenmedikament, eingenommen hatte. |
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Jetzt war es endlich soweit: Wir stiegen zur Bohrstelle (6100 m), die
Margit zwei Tage zuvor ausgesucht hatte, auf. Die Dicke des Gletschers
war an dieser Stelle mit ca.130 m bestimmt worden. Am Weg dorthin gingen
wir ziemlich oft über Blankeis (z.T. mit 10-20 cm Schnee bedeckt)
und so begann ich immer mehr daran zu zweifeln, dass man erfolgreich bohren
könne, was ja mächtigen Firn voraussetzt. Doch die Bohrung selber
verlief dann problemlos und nach 2 Stunden hatten wir 13.26 m besten Firn
(20 Bohrkerne), der keinerlei Anzeichen von Schmelzvorgängen aufwies,
gefördert. |
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Tags darauf sollten um 7:00 die Maultiere mit dem Trockeneis im Lager 2 auftauchen,
um diese Zeit war natürlich noch keiner da. Stattdessen erreichten Margit,
Beat und Theo um halb acht mit den Eisproben im Rucksack das Lager. Zwar machten
wir uns sofort daran, die Kerne in die Isolierkiste zu räumen, allerdings
konnten sie vorübergehend nicht gekühlt werden, nur die eigene Kälte
schützte sie noch vor dem Zerfließen. Das Zittern hatte allerdings
bald ein Ende, als gegen acht Uhr das Trockeneis ankam.
Dann mussten wir nur noch absteigen. Unten erwartete uns dann noch ein Schock:
Der Materialtransport war offenbar von rauher Natur gewesen. Die beiden Solarpanels,
die wir zur Stromversorgung des Bohrers verwendet hatten, waren in der Mitte
durchbohrt worden und die Isolierkiste erweckte den Eindruck, als wäre
sie irgendwo herunter gefallen. Das Styropor an der Innenseite wies größere
Kerben auf und zwei der Plastikschläuche, in denen die Eiskerne transportiert
werden, waren aufgeplatzt, die Kerne herausgerutscht.
Die Entäuschung über den Schaden war groß, allerdings war das
endgültige Ausmaß noch nicht abzusehen.
Unsere Reise neigte sich dem Ende zu. Wir machten uns auf den Rückweg nach Chile, konnten ohne Probleme mit unserem meterhoch beladenen Pickup die Grenze passieren und erreichten tags darauf den Flughafen in Santiago. 48 Stunden später standen wir wieder auf Schweizer Boden.
(C) 3.2003 David Bolius
Eine Analyse des Eises in den folgenden Monaten ergab, dass der Gletscher am Mercedario ein geeignetes Klimaarchiv darstellt. Der Gletscher am Plomo erwies sich, wie erwartet, wegen der starken Schmelzvorgänge als ungeeignet. Ein Versuch, im Februar 2004, den Gletscher bis zum Felsbett zu durchbohren scheiterte allerdings an für diese Gegend außergewöhnlich schlechten Wetterbedingungen. 2005 war dann ein weiterer Versuch erfolgreich, Ergebnisse von dem 108 m langem Eiskern sind für 2008 zu erwarten.